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Bischof Dr. Michael Gerber: Weihnachtsgruß

Bischof Dr. Michael Gerber: Weihnachtsgruß

Auf dem Esel ist noch Platz! Würde ich mich gerne darauf setzen und den Ritt wagen? Oder würde ich lieber am Wegrand stehen bleiben und die Szene an mir betrachtend vorüberziehen lassen? – Das waren meine spontanen Gedanken, als ich im Sommer in Taizé die Holzarbeit von Frère Denis auf dem sogenannten Evangeliumsweg entdeckt habe. Das Kunstwerk entführt in eine andere Welt. Frère Denis hat lange Zeit in Kenia gelebt. Das ist durch die Gestaltung des Bildes sofort zu erkennen. Sein Motiv erinnert an die „Flucht nach Ägypten“, wie sie im Matthäusevangelium überliefert ist: „Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter und flieh nach Ägypten; dort bleibe, bis ich dir etwas anderes auftrage; denn Herodes wird das Kind suchen, um es zu töten.“ (Mt 2,13)


Im Bild tritt mir eine fremde Kultur, tritt mir das Schicksal von Verfolgung, Vertreibung und Flucht entgegen. Mir begegnet das Schicksal einer jungen Familie, die ihr Leben sicherlich anders geplant hat, als sich auf einen Zickzack-Kurs durch den Nahen Osten begeben zu müssen. In mir steigen die dramatischen Bilder der internationalen Krisenherde des Jahres 2021 auf, aber auch die der Flutkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Die Holzarbeit von Frère Denis ist keine historisierende Abbildung, sie ist ein Fenster in unsere dramatische Gegenwart.


Das Bild ist für mich an der Schwelle zum Jahr 2022 ein zentrales Motiv. Was nehme ich an wesentlichen, prägenden Eindrücken, die meine Seele berührt haben, aus dem Jahr 2021 mit in die weihnachtlichen Festtage und dann in das neue Jahr? Auf das Motiv bin ich bei meinen Exerzitien in Taizé gestoßen. Diesen Ort im Burgund hatte ich bewusst gewählt, da mich sehr beeindruckt hatte, wie die Brüder ihren Weg durch die Pandemie suchen. Trotz aller Einschränkungen ist Taizé auch jetzt ein Ort, der junge und junggebliebene Menschen inspiriert und ermutigt, sich mit Jesus auf die Reise ihres Lebens zu wagen.


Mehr denn je sind viele Biographien heute ein holpriger Zickzack-Kurs. So wie vor 2000 Jahren der Weg Maria und Josef zunächst nach Bethlehem und von dort weiter nach Ägypten führte, dann aber nicht wie zunächst geplant zurück nach Judäa, sondern weiter in das Gebiet von Galiläa. Was brauchen Menschen an Kräften und seelischer Stabilität, um solch einen Weg gehen zu können? Was an Beziehung braucht es, damit Menschen auf ihrem Weg durch die Zeit gesund bleiben an Leib und Seele? Wer geht mit, wer geht voran und wer bietet Hilfe und Schutz? Diese Fragen beschäftigen mich im Blick auf die Szene „Flucht nach Ägypten“. Hier sehe ich einen der ganz wesentlichen Aufträge von Kirche in der Welt von heute.


Je länger ich das Motiv meditiere, desto stärker beschäftigt mich jedoch ein weiterer Gedanke: Was treibt Maria und Josef an auf ihrem Weg? Zweifelsohne ist es die Reaktion auf den Vernichtungswillen des Herodes. Darauf müssen sie reagieren. Auch uns treibt vieles an, was „eine Reaktion auf …“, ein „Handeln gegen …“ ist. In der Tat: Ein „Handeln gegen …“ kann zusammenschweißen und solidarische Kräfte wecken. Gerade in der Phase des ersten Corona-Lockdowns war das deutlich spürbar und in konkreten Solidar-Aktionen erfahrbar. Inzwischen erleben wir aber verstärkt Polarisierungen in der Gesellschaft. Offenbar hat die zwischenmenschliche Bindekraft, die aus einem gemeinsamen „Handeln gegen …“ entsteht, nur eine sehr begrenzte Halbwertszeit.


Was treibt Josef und Maria in der Tiefe ihres Herzens an? Es ist die tiefe Begegnung mit dem, der sich ihnen als Kind in die Arme gelegt hat. Ihre Seele ist berührt von der Erfahrung: Im Wunder des Lebens, das der neugeborene Jesus mit allen Neugeborenen teilt, leuchtet jenes Leben in Fülle auf, das Jesus viele Jahre später so beeindruckend verkünden wird. Vordergründig ändert sich dadurch der Weg, den sie gehen müssen, nicht. Es bleibt ein Eselsweg, ein holpriger Zickzack-Kurs. Aber die entscheidende Dynamik ist eine andere: Sehr viel tiefer als das „reagieren auf …“ ist ein anderer Impuls, nämlich das „berührt und erfüllt sein von …“.


Dass dieses „berührt und erfüllt sein von …“ wirklich die tiefere Dynamik ist, die mich und mein Handeln bestimmt, kann man nicht beschließen, das kann man sich nicht einfach vornehmen. Denn spätestens beim nächsten Stolperer, beim nächsten Widerstand spüren wir, welche Dynamik uns tatsächlich antreibt. Aber wir können darauf achten, wo und in welchen Momenten diese produktive Dynamik von Hingabe und Erfüllung in unserer Seele genährt werden kann.


Maria und Josef sind zu zweit unterwegs. Suchen wir in unseren Begegnungen danach, diese Dynamik bei uns und beim Gegenüber zu stärken! Ob und wie das dann tatsächlich geschieht, bleibt wesentlich ein Wirken der Gnade Gottes. Von Herzen wünsche ich Ihnen ein tiefes Erleben dieser weihnachtlichen Gnade!


Ihnen allen ein gesegnetes Weihnachtsfest!


+ Michael Gerber

Bischof von Fulda


„Flucht nach Ägypten“. Foto: Ateliers et Presses de Taizé
Weihnachten im Fuldaer Dom
 

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